1. Einleitung
Die Arbeiten auf Österreichs Baustellen wurden in den letzten Monaten vermehrt aufgrund der COVID-19 Pandemie verzögert. Auf den Baustellen kommt es angesichts der stets ändernden Quarantänemaßnahmen oft zu Engpässen bei Materiallieferungen und fehlen abermalig die notwendigen Arbeitskräfte. Diese außergewöhnliche Situation löste in der Vergangenheit zahlreiche Fragen bei den Auftragsnehmer und Auftragsgeber aus.
Unsere Mandanten stellten uns dabei häufig die Fragen, wer für Unterbrechungen und Verzögerungen von Bauarbeiten – aufgrund der COVID-19 Pandemie – verantwortlich ist bzw. wer die damit verbundenen Gefahren (Preisgefahr) zu tragen hat.
Der nachfolgende Beitrag befasst sich ausschließlich mit den relevantesten Fragen unserer Mandanten.
2. Anwendungsbereich
Die Werkvertragsnorm ÖNORM B2110 definiert allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen. Bauleistungen sind Herstellung, Änderung, Instandsetzung, Demontage oder Abbruch von Bauwerken, deren Neben- und Hilfstätigkeiten sowie Aufgaben, die von der Haustechnik verrichtet werden. Sie dient als Vertragsvorlage (Vertragsschablone) für Auftraggeber und Auftragnehmer von Bauvorhaben und beinhaltet Regelungen (Vorschläge) beginnend bei der Ausschreibung eines Projekts, über diverse Rechnungslegungsbestimmungen, bis hin zu Haftungs- und Gewährleistungsbestimmungen. Auch werden die Arten und Folgen von Übernahmen oder deren Verweigerung thematisiert.
3. Ab wann werden ÖNORMEN verbindliche Vertragsbestandteile?
Werden ÖNORMEN nicht durch konkrete Rechtsvorschriften für verbindlich erklärt, so sind sie in rechtlicher Hinsicht als bloße Vertragsschablonen zu qualifizieren, die nur durch Parteienvereinbarung Vertragsinhalt werden können.
War ihr Inhalt nicht Gegenstand und Ergebnis von konkreten Vertragsverhandlungen, so sind sie objektiv, unter Verzicht auf die Berücksichtigung außerhalb des Textes liegender Umstände, derart zu verstehen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen des angesprochenen Adressatenkreises erschließen, wobei im Zweifel die Übung des redlichen Verkehrs einen wichtigen Auslegungsbehelf darstellt (OGH 22.8.1995, 6 Ob 566/95). Daraus folgt, dass ÖNORMEN nicht rechtlich verbindlich sind, sondern explizit durch die Parteien vereinbart werden müssen. Sobald die ÖNORM B2110 Vertragsinhalt wird, gilt diese als AGB und deren Bestimmungen unterliegen der zivilrechtlichen Geltungs- (§864a ABGB) und Inhaltskontrolle (§879 ABGB).
Praxistipp: Regeln Sie ausführlich den Anwendungsbereich der ÖNORM vertraglich fest. Halten Sie dabei ausdrücklich fest, welche rechtlichen und technischen Normen gelten sollen.
4. Vor- oder Nachteile durch die Anwendung der ÖNROM?
Wie bereits eingangs ausgeführt bringt die ÖNROM abweichende Regelung zur Normallage (ABGB) mit. Eine solche Regelung kann selbstverständlich zugunsten oder auch zulasten beider Vertragsparteien ausgehen. Die praxisrelevante ÖNORM B2110 beinhaltet zahlreiche Regelungen, die auf dem AGBG aufbauen. Zum Beispiel betrifft dies die Übernahme, die Prüf- und Warnpflichten, die Gewährleistung, den Verzug, den Vertragsrücktritt usw. In den nachfolgenden Punkten gehen wir kurz auf die abweichenden Regelungen ein.
5. Verzugsschaden gemäß Punkt 12.3.1 (ÖNORM B2110)
In der Praxis kommt es häufig vor, dass der Auftragsnehmer das Bauwerk – Verschulden liegt in der Sphäre des Auftragnehmers – verspätet fertigstellt. In einem solchen Fall entsteht unabhängig, ob eine Vereinbarung eines pönalisierten Endtermins vereinbart wurde, eine Schadenersatzverpflichtung. Dieser Verzugsschaden ist im Punkt 12.3.1 festgelegt:
Bei einer Auftragssumme bis zu EUR 250.000,00 ist der Schadenersatz mit höchstens EUR 12.500,00 gedeckelt.
Bei einer Auftragssumme über EUR 250.000,00 ist der Schadenersatz mit 5% der Auftragssumme gedeckelt (absolute Höchstsumme ist EUR 750.000,00).
6. Was passiert, wenn der Auftragsnehmer das Bauprojekt mangelhaft herstellt?
Auch in einer solchen Situation kommt der Punkt 12.3.1 (Schadenersatzbegrenzung) der ÖNORM B2110 zur Anwendung.
7. Vertragsstrafen nach der ÖNORM B2110
Eine Vertragsstrafe ist in § 1336 Abs 1 ABGB und in Punkt 6.5.3 der ÖNORM B2110 geregelt. Die Vertragsstrafe ist eine Zahlung, die der Auftragsnehmer dem Auftragsgeber für den Fall der Nichterfüllung oder nicht gehörigen Erfüllung verspricht. Sie dient dem Ausgleich jener Nachteile, die dem Auftragsnehmer aus der Vertragsverletzung entstehen können.
Die Vereinbarung der ÖNORM B2110 allein führt aber noch nicht zur Geltung einer Vertragsstrafen Regelung, da die ÖNORM B2110 ausdrücklich von einem vertraglich vereinbarten Pönale ausgeht. Grundsätzlich können auch die Vertragsparteien eine verschuldensunabhängige Vertragsstrafe nach dem ABGB vereinbaren.
Laut der ÖNORM B2110 beträgt die maximale Höhe der Vertragsstrafe 5 % der ursprünglichen Auftragssumme. Ein über die Vertragsstrafe hinausgehender Schaden ist gemäß 12.3.2 nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Auftragsnehmer zu ersetzen. Behauptungs- und beweispflichtig ist der Auftragsgeber.
Wie bereits ausgeführt muss ein Pönale vertraglich vereinbart sein. Ob eine Vertragsstrafe im Einzelfall zur Anwendung kommt, ist stets eine Frage der Vereinbarung – oft im Hauptvertrag (Werkvertrag) geregelt – und muss anhand dieses Vertrages beurteilt werden. Wurde nichts anderes vereinbart, so ist die Vertragsstrafe nur zu zahlen, wenn die Nichterbringung oder Verspätung der Leistung verschuldet wurde. Es kommt daher auch auf die konkrete textliche Formulierung im Hauptvertrag an.
8. Wie hoch kann die Vertragsstrafe sein?
In der ÖNORM B2110 findet sich eine eigene Bestimmung (Punkt 12.3.1) die konkrete die Höhe der Vertragsstrafe festsetzt. Die maximale Höhe der Vertragsstrafe belauft sich auf 5 % der ursprünglichen Auftragssumme. Daraus folgt, dass die Deckelung der Ansprüche auf eine maximale Summe begrenzt ist.
In diesem Zusammenhang ist auszuführen, dass die Vertragsstrafen auch einem gesetzlichen richterlichen Mäßigungsrecht gemäß § 1336 Abs. 2 ABGB unterliegt. Im Rahmen einer richterlichen Abwägung kann ein Pönale daher auch auf null gemäßigt werden, jedenfalls aber auf einen tatsächlichen Schaden.
9. Was passiert, wenn die Verzögerung aufgrund der Corona Krise erfolgte?
Ist die Verzögerung oder Nichterbringung der Leistung ausschließlich auf Umstände zurückzuführen, die durch die Corona Krise verursacht wurden, so wird ohne explizierte Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Haftung die Vertragsstrafe mangels Verschuldens nicht zur Anwendung kommen.
10. Haftrücklass
Der Hausbau ist endlich abgeschlossen und der Auftragsgeber muss die letzten Rechnungen bezahlen. Jedoch steht ihm noch in der Regel eine Gewährleistungsfrist von drei Jahren zur Verfügung. Weshalb in der Praxis fast immer ein Haftrücklass aufgenommen wird, um sich abzusichern.
Der Haftrücklass ist ein prozentueller Teil des Werklohns durch den Auftraggeber, der einbehalten wird, um etwaige Gewährleistungsansprüche sicherzustellen. Ein Haftrücklass ist nach Ende der vereinbarten Gewährleistungsfrist dann wieder zurückzuzahlen, sollten keine Mängel behoben werden.
Ab wann kommt ein Haftrücklass zur Anwendung?
Ein Haftrücklass kommt nur dann zur Anwendung, wenn dieser auch ausdrücklich im Werkvertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vereinbart wurde. Dies ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn dem Vertrag zwischen den Parteien eine entsprechende ÖNORM zugrunde liegt. Vor diesem Hintergrund ist offenkundig, dass die ÖNORM B2110 die Ansprüche des Auftraggebers nur für Gewährleistungsansprüche umfasst. Darüber hinaus umfasst die ÖNORM B2110 keine hinausgehenden Schadenersatzansprüche.
Praxistipp: Aus all diesen Gründen ist es demzufolge so wichtig, eine genaue vertragliche Vereinbarung abzuschließen und einen Haftrücklass explizit mitvereinbaren.
Rechtsberatung.
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